Netzinnenpolitik – Grundzüge einer Politik der Plattformgesellschaft

Politics & Society
re:publica 2016

Short thesis: 

Die großen Plattformbetreiber werden von den zunehmenden Problemen einer globalen Netzgesellschaft gezwungen, ihre Neutralität immer weiter aufzugeben und in die Handlungen ihrer Nutzer/innen zu intervenieren. Das eröffnet Chancen die immer dringenderen Konflikte im Netz wirkungsvoll zu adressieren, birgt aber auch neue Gefahren. Wir haben es mit einer neuen Form zentralisierter Gewalt zu tun, zu der sich gerade erst politische Prozesse beginnen zu formen. Es zeichnet sich ab, dass die Netzinnenpolitik für die Zukunft der globalen Netzöffentlichkeit von entscheidender Bedeutung sein wird.

Description: 

Von der Vorratsdatenspeicherung über Netzsperren bis zu ACTA – Netzpolitik hat sich als zivilgesellschaftliche Verteidigung der Netzfreiheit gegenüber den Regulierungsbestrebungen von Politik und Wirtschaft geformt. Zugespitzt kann man sagen, dass eine Gruppe von Menschen, die das Netz sowohl als ihr Zuhause, als auch den Ort der Zukunft erkannten, sich aufgerufen fühlten, es gegen äußere Feinde zu verteidigen.

Doch dieses Narrativ funktioniert immer schlechter. Das Netz kennt kein Außen mehr und die Verteidigungsbestrebungen werden zunehmend überschattet von internen Konflikten des Netzes selbst. Gamergate, Maskuhorden, Pegida, Nazis, Verschwörungstheoretiker, Belästigung, Stalking, Shitstorms und im Netz organisierter Sexismus und Rassismus bedrohen die Freiheit eines Großteil derer, die eigentlich im Digitalen ihr Zuhause gefunden zu haben dachten.

Parallel zu dieser Entwichlung haben sich alle Utopien vom Internet als unvermachteten Raum endgültig zerschlagen. Das Netz ist kein Peer-to-Peer-Ringelrein, sondern hat eigene, mächtige Institutionen hervorgebracht, deren Algorithmen und Terms of Service heute schon in das Leben eines Großteils der Internetnutzer/innen hineinregieren: die Plattformen haben eine Relevanz und Mächtigkeit erreicht, dass sie teilweise bereits mit Staaten auf Augenhöhe verhandeln.

Die Effekte dieser zwei Entwicklungen lassen sich täglich bestaunen: Was sagt es über unsere Demokratie aus, wenn der Justizminister Heiko Maas Facebook einen Brief schreibt, mit der Bitte effektiver gegen Hasspostings vorzugehen? Wie verändert es Googles Funktion und Stellung in der Gesellschaft, wenn sie anhand schwammiger Kriterien bestimmen sollen, welche Suchergebnisse nach Namen sie unauffindbar machen sollen und welche nicht? Plattformen sind nicht einfach landläufige globale Wirtschaftsunternehmen, sondern bilden die Grundlage für allerlei Arten von Vergesellschaftung. Sie haben überdies aus technischen und privatrechtlichen Gründen für diese von ihnen aufgespannten sozialen Räume eine Art Gewaltmonopol. Plattformen sind somit inhärent politisch. 

Es ist deswegen folgerichtig, die Plattformen für die oben genannten, Internet-internen Probleme zu adressieren. Sie sind die Lösungen aus dem Netz, für das Netz - und die Handlungen der Politiker scheinen diesen Status nur zu bestätigen. Aber auch aus aktvistischen Kreisen und Organisation wird schon länger direkt bei Plattformbetreibern lobbyiert, wenn es zum Beispiel darum geht, bestimmte Codes of Conducts und spezifische Policies einzuführen oder strenger und effektiver durchzusetzen. Der politische Kampf um die Plattformen ist bereits im vollen Gange und so langsam dämmert es auch Zuckerberg und Co, dass sie sich nicht mehr auf Neutralität berufend raushalten können.

Auch wenn die Politiker/innen und Aktivist/innen das nie so offen aussprechen, stecken sie doch mit ihrem Plattformaktivismus ein völlig neues, politisches Spielfeld ab. Dieses Spielfeld nenne ich „Netzinnenpolitik“.

Die Netzinnenpolitik ist von den nationalstaatlichen Regulierungen unterschieden; sie findet auf einem völlig anderen (neuen) Layer statt. Sie überschreitet Nationengrenzen und nationale Gesetze sind für sie nur mittelbar verbindlich – sie kann darüber hinaus gehen, oder dahinter zurückbleiben oder ganz eigene Wege gehen. All ihre Do und Don’ts sind noch nicht fertig ausgehandelt – aber diese Aushandlung findet jetzt statt.

Ich möchte in meinem Talk ausgehend von den Grundproblemen des Konfliktmanagements im digitalen Raum die Grundzüge der kommenden Netzinnenpolitik vorstellen. Ich will zeigen, wie Sanktionen im Netz funktionieren und wie die Plattformbetreiber sie heute schon einsetzen. Ich will auch die Legitimationsprobleme erörtern, die entstehen, wenn eine Zentralgewalt ohne Checks & Balances quasi-normativ tätig wird und möchte dafür Verbesserungen vorschlagen. Ich möchte vor allem fragen, wie die Zivilgesellschaft damit umgehen soll, welche Chancen und welche Gefahren und Abhängigkeiten hier lauern. Und schließlich will ich einen Ausblick geben, in dem ich zeige, wie die Innenpolitik des Netzes die Gesamtstruktur der Plattformgesellschaft zur weiteren Ausdifferenzierung treiben wird.

Stage 9
Wednesday, May 4, 2016 - 16:15 to 17:15
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