Fanfiction verändert nicht nur unsere Kultur, berichtet Laurie Pennie in ihrem Talk "Change The Story, Change The World" an Tag 3 auf der Hauptbühne. Für die Autorin und Aktivistin birgt sie sogar das Potenzial in sich, bestehende Herrschaftsstrukturen umzustürzen.
Laurie Penny will die Welt verändern. Nichts Geringeres. Schüchtern betritt die zierliche Netzaktivistin, Journalistin und selbsternannter Genderpunk die Bühne, aus dem Publikum schnellen pinkfarbene Bommeln in die Luft. Sie sagt: "Ich bin keine Fee, aber wir sollten nett zu ihnen sein. Wir sind nicht nett genug zu Feen." Das Publikum kichert. Penny ist ein Phänomen, vor allem in Deutschland. Hier ist sie beliebter als in ihrer Heimat Großbritannien, wo sie noch durch die Straßen ziehen kann, ohne dass man sie erkennt.
Eigentlich ist es einfach, weshalb ihre fast 130.000 Twitter-Follower sie lieben: Laurie Penny erzählt Geschichten. Die sind zwar nicht neu und zum großen Teil nicht mal von ihr selbst. Aber sie kann sie vor so großem Publikum sensationell vortragen. So ist das Geschichtenerzählen – oder vielmehr das Geschichtenverändern – auch das Hauptthema ihres Vortrags.
"Die kollektive Vorstellungskraft versucht, sich ein Bild von der Realität zu machen. Meistens liegt sie aber falsch", sagt Penny. Mit der Einführung englischer Literatur als akademische Disziplin hätten sich ganz bestimmte Erzählweisen durchgesetzt. Es gebe einen Literaturkanon, der im Wesentlichen aus Heldengeschichten mit männlichen Protagonisten sowie Jane Austen besteht, und der in seinen Grundzügen bis heute gültig sei.
"Doch in den frühen Monaten 1977 hat sich die Literaturgeschichte für immer verändert: ‚Desert Heat’ wurde veröffentlicht", sagt Penny, die Augen leuchten. "Desert Heat" ist eines der frühesten und beliebtesten Fanfiction-Stücke. Es erzählt die homoerotische Begegnung zwischen dem "Star Trek"-Captain Kirk und seinem Lieutenant Spock (später wurde das Paar mit K/S abgekürzt).
"Die Fans haben verstanden, dass da etwas war. Dass die beiden mehr als Freunde waren, aber das konnte man im Fernsehen nicht zeigen", glaubt Penny. Das sei ein wichtiger Moment gewesen, denn Leser und Zuschauer begannen, selbst Geschichten zu erzählen, Alternativen aufzuschreiben und weiterzureichen. "Fanfiction war in der Hinsicht dem Internet voraus", sagt sie. Aber dann war es doch irgendwann das Netz, das das Genre so richtig groß machte.
Penny selbst kam über frühe Idole auf Fanfiction: "Buffy" und "Harry Potter". "'Harry Potter' war so wichtig für mich! Ich war damals zehn, und den ersten Band habe ich am Abend vor meinem elften Geburtstag gelesen. Die ganze Nacht saß ich da und habe auf meinen Brief von Hogwarts gewartet", erzählt sie. Als das Publikum seufzt, entgegnet sie: "Ich weiß, ich weiß. Aber auf gewisse Weise kam er ja." Wieder Lächeln.
Es sind Momente wie diese, die zeigen, wie elegant Penny akademische, biografische und literarische Inhalte verweben kann, wie ihr Vortrag zur Geschichtenerzählstunde wird und die TeilnehmerInnen an ihren Lippen kleben. Ständig interagiert sie mit ihren ZuhörerInnen, fragt etwa, wer Literatur studiert hat (ein Drittel), wer ihre vielen Fanfiction-Insider kennt und erklärt sie dann dem Rest. So verknüpft sie in ihrem Vortrag "Star Wars" oder "Die Tribute von Panem" mit der britischen Kolonialgeschichte, Erzähltheorie und Feminismus.
"Das Interessante ist, dass Fanfiction ein vor allem weiblich und jung besetztes Genre ist. Mädchen haben schon immer mehr gelesen und sie waren frustriert, dass es keine Geschichten gab, die sie repräsentierten", sagt Penny. Dabei gehe es nicht mal darum, die Originalgeschichten umzuschreiben. "Fanfiction ist ein Zusatz." Nach wie vor würden Originalgeschichten, die Persönlichkeiten und die Form von Heldengeschichten die Leute fesseln. Doch sie wollten auch andere Charaktere und abweichende Handlungen. Also änderten die Fans Geschlecht, Sexualität und Herkunft. "Das ist alles was man braucht, um heute radikale Geschichten zu schreiben."
Heute gebe es Millionen dieser alternativen Erzählweisen. "Die Mädchen, die damals Fanfiction schrieben, sind heute Ende zwanzig, haben wichtige Positionen in der Medienbranche und fordern mehr vom kollektiven Storytelling", erklärt Penny.
Kürzlich sorgte zum Beispiel die Idee einer schwarzen Hermine für Aufruhr: "Das Internet ist durchgedreht. So viele Menschen können sich vorstellen, dass es Drachen und Vielsafttränke gibt, aber keine schwarze Hermine."
Dass die traditionellen Erzählweisen herausgefordert werden, sieht die Britin als gute Nachricht. Fanfiction fördert Diversität und schafft neue Geschichten. Penny könne sich aber auch den Widerstand erklären: "Jede Person, die schon mal ausgeschlossen wurde, versteht diese Wut." Und genau darum geht es ihr. Sie wünscht sich neue Erzählweisen. Mehr Fantasie. "Du kannst nur werden, was du dir vorstellen kannst. Die Welt zu verändern, das ist nicht einfach. Es braucht Mut. Das habe ich von Harry Potter gelernt."
Foto: re:publica/Jan Zappner (CC BY 2.0)