#rpTEN-Speakerin Carolin Emcke: Da schreiben, wo es weh tut

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Carolin Emcke

Die Publizistin Carolin Emcke geht in mehrfacher Hinsicht an Grenzen: Oft berichtet sie aus Kriegs- und Krisengebieten. In Reportagen fragt sie, was Gewalt mit und aus Menschen macht. In Essays und Kommentaren erörtert sie philosophische Grundprobleme. 

Es sind komplizierte Orte, von denen Carolin Emcke schreibt: Bürgerkriege. Flüchtlingslager. Krankenhäuser, in denen die zivilen Verwundeten vermeintlich chirurgisch präziser Militärschläge liegen. Therapiestationen für Folteropfer. Deutsche Islamdebatten. Oder wenn der Bundestag über die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare diskutiert. Die Lage ist oft unübersichtlich. Den Medien wird vermehrt vorgeworfen, dass sie die eine, einzig gültige Wirklichkeit nicht mehr zu vermitteln vermögen. Sie sind die "Lügenpresse". Warum misslingen objektivierende Berichte so oft und warum wählen so viele BerichterstatterInnen subjektive Perspektiven? Emcke schafft einen speziellen Blickwinkel.

In den sprachmächtigen Gegenwartsanalysen der promovierten Philosophin geht es um Globalisierung, Theorien der Gewalt, Zeugenschaft, Fotografie sowie kulturelle Identitäten. Gerade angesichts der extrem vertrackten Zustände in der Gegenwart gilt Präzision als Instrument gegen das Stumpfe, Grobe: "Ich will", hat Carolin Emcke einmal geschrieben, "dass Schreiben Aufwand bedeutet, Arbeit. Bei Langzeitbeobachtungen mag ich, wie das Sehen sich verändert und das Lernen Teil der Geschichte wird." Geschichte ist genauso wie die wirkliche Gegenwart das, was wir uns nicht aussuchen können. Die hat sich uns ausgesucht. Und von diesen Unfreiwilligkeiten handeln viele Texte. Es werden epistemische, emotionale oder ideologische Hindernisse für Einfühlungsvermögen und Empathie ergründet. Jüngere Publikationen heißen etwa "Stumme Gewalt – Nachdenken über die RAF" (2008), "Wie wir begehren" (2012), und "Weil es sagbar ist. Über Zeugenschaft und Gerechtigkeit" (2013).

Welche Formate in Texten, Bildern und Filmen sind dafür tauglich, extreme Erfahrungen zu vermitteln? "Texte sollen so zart sein, dass sie gegen die Vereinfachungen ankommen", sagt sie. Der Historiker Valentin Groebner, mit dem Carolin Emcke gemeinsam die Reihe "Krieg erzählen" im Berliner Haus der Kulturen der Welt kuratierte, sagte in einer Laudatio auf die Reporterin: Schreiben als Berichterstattung kann nicht anders, als sich um Unmittelbarkeit zu bemühen und nicht um "Reinheit". Im Gegenteil, wir werden angefasst, mit hineingezogen, mit eigenen starken Empfindungen kontaminiert und verlieren den Überblick. Und gelegentlich auch die Fassung.

In der gedruckten Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung kann keine direkte Diskussion erfolgen. Oftmals muss sich ihre wöchentlich Kolumne auch erst einmal setzen. Stattdessen schafft die Reihe "Streitraum" Platz, um unmittelbar kontroverse Themen zu diskutieren. Das monatliche Event betreibt Emcke an der Schaubühne in Berlin, zu der sie WissenschaftlerInnen, AutorInnen, KünstlerInnen, PolitikerInnen und andere Personen des öffentlichen Lebens einlädt.

Wir hoffen, dass auch auf der #rpTEN auf und neben der Bühne spannende Diskussionen entstehen. Stoff gibt es, fragen wir Carolin Emcke, genügend. Uns gibt sie schon einmal einen Rückblick und Ausblick:

2015 war ein in vielerlei Hinsicht aufregendes Jahr. Was ist Dein "publizistisches" Fazit zum Jahresende?
"Aufregend" klingt etwas positiver als ich es empfunden habe. Die politische Radikalisierung, die zunehmend aggressive Entgrenzung im öffentlichen Raum (ob durch die AfD, durch Pegida oder die gewaltbereiten Gruppen, die den Hass, den sie schüren, gegenüber Geflüchteten oder Andersdenkenden ausagieren) waren 2015 die für mich dominante Erfahrung.

Wie könnte es 2016 weiter gehen: Welche Entwicklungen und/oder Wandel sollte es nächstes Jahr geben?
Es wird sicherlich darauf ankommen, der politischen und militärischen Eskalation in der Folge der Anschläge von Paris etwas entgegen zu setzen. Die Fehler des "Kriegs gegen den Terror", der nach 9/11 ausgerufen wurde, sollten sich 2016 nicht wiederholen. Es ist in Afghanistan, Irak und Libyen zu besichtigen, wie dieser "Krieg gegen den Terror" langfristig den Terror mehr entfacht als ihn eindämmt.

@c_emcke

Bildernachweis: Carolin Emcke

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